Farida Tlili zeigt, wie Lernen und Prüfungen gelingen dürfen. Sie ist Expertin für Lehr- und Lernprozesse. Sie hat jahrelange Erfahrung im Lerncoaching für Kinder und Jugendliche. Heute führt sie die Lerncoach-Profibox, eine Online-Akademie für Lernprofis. Ich habe Farida in meiner Ausbildung zum Lerncoach kennen und schätzen gelernt. Mich beeindruckt ihre sehr zugewandte Art, ihr fachlich umfassendes und tiefgründiges Wissen und ihre Begeisterung dafür Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen leichter zu lernen.
1. Wer bist du und was genau machst du?
Ich habe 2 erwachsene Töchter. Das heißt, ich durfte zweimal Schulzeiten begleiten.
Seit 2008 bin ich als Lerncoach unterwegs. In eigener Praxis begleitete ich viele Schüler und Studenten immer dann, wenn es mit dem Lernen nicht so ganz klappen wollte. Seit 2013 biete ich auch Lerncoach-Ausbildungen und andere Weiterbildungen rund um das Lerncoaching an.
2. Wie bist du dazu gekommen Expertin für Lernprozesse zu werden?
Mein beruflicher Weg hat mich über die Kinder- und Jugendhilfe geführt. Ich habe eigene Jahre in intensiver sozialpädagogischer Einzelbetreuung Jugendliche in die Selbständigkeit begleitet. Da habe ich schon erlebt, das Lernen an irgendeiner Stelle der Lernprozesse mal ein bisschen haken kann. Bei den jungen Menschen, mit denen ich da zu tun hatte, war Lernen oft ein großes Thema, was nicht so einfach war.
Während dieser Zeit in der Jugendhilfe habe ich begonnen, mich weiter zu bilden. Alles hat mal angefangen mit einer systematischen Beraterausbildung. 2002/ 2003 kam die Heilpraktiker-Ausbildung für Psychotherapie dazu, dann NLP – Neuro-Linguistisches-Programmieren und dann ging das immer so weiter. Das heißt, ich lerne auch sehr gerne. Das hat aber erst nach meiner Schulzeit begonnen. Damals entstand schon die Idee, mich mit Coaching selbständig zu machen. Das hatte ich 2003 verwirklicht, allerdings mehr oder weniger ohne Plan. Doch wo sollte das Segelschiff hinsegeln, so ohne Plan? Ich bin noch einmal zurück in die Jugendhilfe.
2007 war es dann soweit. In der Zwischenzeit habe ich noch mehr Aus- und Weiterbildungen dazu gesammelt. Ich saß zu Hause, war mit Erschöpfung krank geschrieben, guckte aus dem Fenster und sprach zu mir selbst. „Du hattest da doch einmal eine Idee, einen Traum dich mit Coaching selbständig zu machen.“ Dann habe ich die Sache anders angepackt. Ich habe mir selbst einen Coach genommen, der mich wunderbar begleitet hat. Ich durfte mich auf diesen Coachingtag vorbereiten. Wir arbeiteten heraus, welche Kompetenzen ich habe, was ich gerne mache und vor allem, mit wem ich gerne arbeite. Das war für mich ganz klar. Schon aus der Kinder- und Jugendhilfe lagen mir besonders die Kinder und Jugendlichen am Herzen. Das Lernen haben wir noch einmal als bestimmtes spezifisches Thema herausgearbeitet. Ich hatte zu der Zeit sogar schon meine Lerncoach-Ausbildung. Jetzt war kein Halten mehr. Ich habe damals mit Schulcoaching und -training begonnen.
3. Was begeistert dich so sehr am Thema „Lernen“ in Bezug auf Kinder und Jugendliche?
Lernen begleitet uns Menschen ja von der ersten Minute unseres Lebens. Überall wo Menschen auf die Welt kommen, ist Lernen das Thema. Bis zur Schule läuft es meist noch relativ glatt. In der Schule weht dann ein anderer Wind, bisher zumindest noch in den traditionellen Schulen. Da gibt es Leistungsanforderungen und manchmal klappt es nicht mehr so leicht mit dem Lernen. Die natürliche Neugierde kann dann ganz schnell verloren gehen. Die Motivation kann in den Keller gehen und manche Kinder verlieren sie ganz. Das finde ich so bedauerlich, weil Kind einfach ganz wunderbare Wesen sind.
Gerade, wenn es nicht so klappt mit dem Lernen, dann brauchen sie Unterstützung. Die gibt es auf vielfältige Art und Weise. Eine Möglichkeit ist das Lerncoaching, das helfen kann, damit so ein Knoten aufgehen kann und es von da an auch wieder leichter lernen kann. Dazu braucht es häufig gar nicht viele Termine. Lernen und Prüfungen dürfen gelingen.
4. Was sind deine wichtigsten Tipps für Eltern, deren Kinder kein Bock auf Schule haben?
Tipp 1: Gelassen bleiben und den Druck herausnehmen.
Das ist vielleicht die größte Herausforderung, insbesondere für das Elternteil selbst. Als Mutter, auch wenn das schon länger zurückliegt, weiß ich das. Druck erzeugt Gegendruck. Wenn wir versuchen Kinder irgendwo hinzuziehen, dann wehren sie sich und dann wird es in der Regel noch schlimmer.
Tipp 2: Kinder ernst nehmen und mit ihnen ins Gespräch gehen
In einer möglichst entspannten Atmosphäre ist es wichtig herauszufinden, wie es dazu gekommen ist, dass die Motivation abhanden gekommen ist? Das ist so ein bisschen wie Forscher spielen und versuchen wie ein Wissenschaftler etwas herauszufinden.
Es ist wichtig neugierig zu sein und gemeinsam als Familie herauszufinden, woran es liegt. Dann fühlen sich die Kinder auch ernst genommen.
Tipp 3: Gemeinsam nach Lösungen schauen
Es gibt in der Regel Gründe dafür, warum die Kinder unmotiviert in der Schule sind. Erst, wenn wir sie herausgefunden haben, können wir nach einer Lösung Ausschau halten. Wenn eine Familie das nicht alleine schafft, auch wieder aus unterschiedlichsten Gründen, empfehle ich eine unabhängige dritte Person. Manchmal ist man als Elternteil einfach zu dicht dran, dann ist es zu emotional und dann ist es gut einen Lerncoach hinzuzuziehen.
Ich empfehle allen Eltern nicht zu lange zu warten. Klar, kann sich auch ein Problemchen von alleine lösen, einfach weil es vielleicht eine Entwicklungsphase ist. Wenn es sich wirklich um Demotivation handelt, wo der Grund möglicherweise in der Schule liegt, durch Konflikte oder weil ein Kind irgendwo etwas nicht verstanden hat oder weil eine Lehrkraft mal etwas sehr unangenehmes gesagt hat, dann braucht es da genaueres Hinschauen. Dann könnte das Thema in drei bis fünf Terminen beim Lerncoach bearbeitet werden.
Wie der Motivation der Weg geebnet werden kann beschreibe ich in meinem Artikel „Kann man einen anderen Menschen motivieren?“.
5. Was ist dein persönliches Motto in deinem Leben?
Für mich gibt es keine Fehler.
Im Kontext Lernen sagen wir ja immer FEHLER sind HELFER. Für mich ganz persönlich in meinem Leben gibt es keine richtigen oder falschen Entscheidungen. Es gibt einfach nur Ergebnisse, die daraus resultieren. So ist es auch, wenn Kinder Klassenarbeiten schreiben oder Präsentationen halten, die nicht so ganz ideal laufen. Dann ist es einfach ein Ergebnis. Daraus kann die Person selbst lernen. Wenn nicht die Noten dabei wären, würde es viel einfacher fallen zu reflektieren und dann gemeinsam zu schauen.
Was kannst du daraus lernen?
Was möchtest du beim nächsten Mal anders machen?
6. Was war dein wichtigster AHA – Moment für dich als Lerncoach in der Arbeit mit den Kindern?
Ich erinnere mich genau an eine Situation einem neunjährigen Jungen, der zu mir in eine Coachingstunde kam. Die Mutter meldete sich vorher, weil der Junge zu den Zappelphilippen gehörte. Er konnte wirklich sehr schwer still sitzen. Hinzu kamen arge Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen, insbesondere der Rechtschreibung.
In der ersten Stunde habe mir zunächst einmal ein Bild von ihm gemacht. Er war ein sehr freundlicher Junge, konnte wirklich nicht still sitzen und zappelte herum. Um mit mir im Gespräch zu bleiben, musste er ständig in Bewegung sein.
Ich habe mit ihm die Bildschirm-Technik gemacht. Weil das auf dem Sesselsitzen gar nicht ging, lag ich mit ihm auf der Erde und habe dieses Format gemacht.
Für die zweite Stunde hatte ich mir eine andere Vorgehensweise überlegt. Ich hatte Jahre vorher eine Fortbildung besucht, da wurde mit Plastilin-Knete gearbeitet. Es wurde von Anfang an noch einmal mit dem ABC begonnen. Es gab Vorlagen für die Buchstaben. Ich hatte die Knete schon in kleine Rollen vorbereitet und sagte dem Jungen:
„Schau mal, ich habe dir etwas vorbereitet. Knete doch mal die Buchstaben. Du siehst hier die Vorlage. Es gibt eine kleine Vorgabe. Die gekneteten Buchstaben sollen möglichst gleich groß sein.“
Damit hatte der Junge auch gleich noch eine Aufmerksamkeitsübung dabei. Im Nachhinein bin ich bis heute traurig darüber, dass ich das nicht gefilmt habe. Sein ganzer Körper war ruhig und er war hochkonzentriert. Mit einer Akribie formte er die Buchstaben, so dass ich dachte: He, er braucht, um die Spannung, die in seinem Körper ist, ableiten zu können, Bewegung. Dann klappt es wunderbar, dass sein Körper still ist und er sich auf die Aufgaben, die er bekommt, konzentrieren kann.
Wenn die Mutter nicht geklingelt hätte, um ihren Sohn abzuholen, hätte er wahrscheinlich mit mir noch weiter geknetet. Das führt mich dazu, dass es gut ist, manche Kinder einmal anders zu betrachten.
7. Was sind deine 3 besten Tipps für Eltern, deren Kinder große Schwierigkeiten im Lesen haben?
Tipp 1: Mögliche körperliche Ursachen abklären
Diesen Tipp finde ich am allerwichtigsten. Ich denke vor allem an die Augen. Wenn es so sein könnte und nicht behoben wird, dann bleibt Lesen für alle Beteiligten immer eine Qual, insbesondere für das Kind. Ich bin selber eine Betroffene. Ich habe ein schwächeres Auge, man nennt das Winkelfehlsichtigkeit. Das ist eine Muskelschwäche auf einem Auge. Das kann so minimal sein, dass von außen fast nichts sichtbar ist.
Die zwei Bilder, die unsere beiden Augen aufnehmen kommen hinten im Gehirn an. Daraus wird hinten im Gehirn ein Bild gemacht, damit es verarbeitet werden kann. Bei der Winkelfehlsichtigkeit bedeutet das in Bezug auf das Lesen, dass die Buchstaben für das Auge nicht so leicht zu erfassen sind.
Gerade in der Legasthenie hört man dann oft von Betroffenen, dass die Buchstaben vor ihren Augen verschwimmen. Deshalb ist es wichtig die Sehschärfe und das Vorliegen einer Winkelfehlsichtigkeit abzuklären.
Tipp 2: Abspeicherung der Wortbilder im Gehirn
Für das flüssige Lesen ist es wichtig, dass die Wörter in einem Text rasantschnell wiedererkannt werden.
Wenn wir lesen, heute ist ein schöner Tag, dann brauchen wir nicht mehr die einzelnen Laute zusammenzuziehen, sondern wir erfassen jedes einzelne Wort.
Wie kommt das? Wir haben von allen Wörtern, die wir kennen eine Kopie im Kopf. Deshalb erkennen wir diese Wort und können es blitzschnell lesen.
Leseanfänger brauchen erst einmal, dass sie eine Kopie von den Wörtern im Kopf ablegen. Auf diesem Weg des Wortes auf dem Papier rein ins Gehirn gibt es bei einigen Kindern kleine Umwege. Viele Kinder versuchen, die Worte phonetisch abzuspeichern. Ich will mir Sch-u-h merken. Das Wortbild fehlt dann dazu.
Es ist wichtig den Focus auf das Wortbild zu richten: Schau genau, wie das Wort geschrieben wird.
Dafür gibt es die Bildschirm-Technik, in der Wortbilder erfasst werden. Der Focus liegt auf das visuelle Lernen. Damit diese Wortbibliothek im Kopf angelegt werden kann, braucht es einen genauen Weg. Wenn der nicht ohne Umwege gegangen werden kann, dann wird es immer Schwierigkeiten beim Lesen geben.
Es gibt eine ganz einfache Strategie, so ein bisschen wie eine Kochanleitung. Wenn unser Gehirn erst einmal verstanden hat, wie es geht, dann übernimmt es das nachher ganz allein. Mit Hilfe der Bildschirm-Technik können Kinder verstehen und erleben, wie dieser Vorgang des Wörterkopierens funktioniert.
In meinem Blogartikel „Hilfe bei Rechtschreibproblemen – Nicht immer läuft alles glatt“ gebe ich eine genau Anleitung zum Ausprobieren für die Eltern.
Wenn die Eltern nicht genügend Zeit dafür haben, dann empfehle ich zu einem Lerncoach mit entsprechender Ausbildung zu gehen. Dann können Kinder und Eltern zum Beispiel diese Strategie – die Bildschirm-Technik beim Lerncoach lernen.
Tipp 3: Gemeinsames Lesen
Das gemeinsame Lesen ist sowieso immer toll. Ich kenne kein Kind, dass nicht gerne vorgelesen bekommt. Meine Empfehlung ist eine spannende Lektüre zu wählen. Sie sollte altersgerecht sein und etwas, was das Kind gerne mag. Bei Mädchen sind es oft Pferde, bei Jungen vielleicht Abenteuergeschichten. Vielleicht findet sich bei einem gemeinsamen Bibliotheksbesuch ein spannendes Buch.
Gelesen wird abwechselnd. Zu Beginn dürfen die Erwachsenen ein bisschen mehr vorlesen. Dann darf das Kind, je nach seinen Möglichkeiten, auch Teile vorlesen. Ganz wichtig ist, dass die Erwachsenen an einer spannenden Stelle aufhören zu lesen. Das Buch bleibt irgendwo sichtbar liegen.
Ich habe da schon tolle Sachen erlebt. Wenn Kinder wissen wollen, wie es weiter geht, haben sie sich dann doch irgendwann das Buch geschnappt.
In meinem Blogartikel „Lesetipp im Lerncoaching“ beschreibe ich weitere Lesetipps.
Mein Tipp
Am besten prägt sich etwas ein, wenn möglichst viele Sinne angesprochen werden. Vielleicht möchtest du das Interview mit Farida Tlili gerne noch einmal hören?
Auf meiner Facebook Seite Silke Schwerdtfeger – Soglos Lernen findest du Farida Tlili im Interview mit mir zum Thema: Lernen und Prüfungen dürfen gelingen.
Diese Spuren hat die Ausbildung als Lerncoach bei Farida bei mir hinterlassen
2020 entschloss ich mich, nach jahrelanger Tätigkeit als Lerntherapeutin und individualpsychologische Beraterin hauptsächlich im Bereich der Familie und des Lernens, meinen Focus auf das LernCoaching zu richten. Ich erlebte täglich verzweifelte Kinder, die lernen möchten, es jedoch gute Gründe gibt, dass dieses nicht gelingen kann. Für mich war klar, noch umfassender zu schauen. Ich wollte nicht nur durch die Erarbeitung der für das Kind passende Lerntechniken und die für das Kind und die Familie stimmige Lernorganisation helfen, sondern ich wollte die Kinder und Familien umfassender stärken.
In meinem Programm „Lernmagie – der Erfolgskurs für Schüler der 3. – 6. Klasse“ dürfen du und dein Kind spüren, dass Lernen gelingen darf. Es kann sogar Spaß machen. Es geht darum, auf die einzelnen Puzzleteile zu schauen, damit Lernen möglich wird. Erst wenn alle Teile ineinander passen, dann wird ein großes Ganzes daraus. Wir schauen uns, je nach Bedarf und Individualität deines Kindes die Themen: das Gehirn als Hardware, die Motivation, die Lernorganisation, die Lernstrategien, die Konzentration, die Ressourcen, die Selbsteinschätzung, die Beziehungen und die Prüfungskompetenz, an. Genau dort kann ich helfen Lösungen zu finden, wenn du das möchtest. Ich kann mit dir und deinem Kind schauen, an welchen Stellen wir gerne genauer hinsehen möchten, um ein stressfreieres Lernen zu ermöglichen.
In der „Magischen Lernpost“ gibt es in ca. zweiwöchigen Abständen Neuigkeiten aus der Lernmagie. Hier kannst du dich dafür anmelden, wenn du weitere Neuigkeiten erfahren möchtest.