Als Kindergartenkind habe ich bei meiner Omi das Küchenbuffet in eine Verkaufstheke mit Kasse verwandelt. Die Besteckschublade wurde zur Kasse. Die Klappe wurde zur Ablage. Spielgeld habe ich selbst gezeichnet, leere Tüten und Gläser wurden zur Ware, Schmierpapier wurde zum Rechenblock. Ich liebte dieses Rollenspiel. Eine erste Berufsidee entwickelte sich. Ich wollte Verkäuferin werden. Dieser Wunsch wurde in den nächsten Jahren abgelöst,, da mich meine Lehrerin in meinen ersten Schuljahren faszinierte. So ahmte ich sie nach und bastelte aus leeren Schreibheften Klassenbücher. Meine Puppen waren die Schüler und ich die Lehrerin. Sie lasen vor und ich zensierte. Mit Freude kontrollierte ich die Arbeiten meiner Schülerpuppen. Später unterrichtete ich an der Kreidetafel, die mir bis zum Schulabschluss ein treuer Begleiter beim Lernen war. Ich wollte auch so eine Lehrerin wie sie werden.
- 2. August 1968: Hurra, da bin ich. Völlig überraschend und ungeplant trat ich in das Leben meiner Mutti. Zu der Zeit schickte es sich nicht, so jung und unverheiratet ein Kind zu bekommen. Meine Mutti war gerade 20 Jahre.
- Sommer 1970: Die ersten beiden Lebensjahre verbrachte ich zusammen mit Mutti bei meiner Omi. Zur damaligen Zeit war es unwahrscheinlich schwer eine Wohnung zu bekommen. Meinen Eltern gelang es, durch Beziehungen, ein Zimmer in einem Arbeiterwohnheim zu mieten.
- März 1971: Ich werde große Schwester. Mein Bruder Frank erblickte das Licht der Welt. Meine Mutti hatte jetzt weniger Zeit für mich. Zwei kleine Kinder waren herausfordernd. Vati studierte neben seiner Arbeit und hatte wenig Zeit. Mutti war wahre Künstlerin im Organisieren. Mit wenig Talern brachte sie uns über die Runden, kümmerte sich allein um den Haushalt und um uns Kinder.
- 1970 bis 1975: Als Krippen- und Kindergartenkind war ich oft krank und musste zu Hause bleiben. Damit Mutti arbeiten gehen konnte und ein somit ein wenig Geld verdiente, verbrachte ich viel Zeit bei Omi. Ich liebte es im Wohnzimmer zu liegen und eine Nuckelflasche heißer Milch zu trinken. Das gab es sonst bei mir zu Hause nicht. Ich war ja schon groß.
- September 1975: Meine Einschulung sehnte ich herbei. Endlich war es so weit und ich wurde in die Ernst-Schneller-Oberschule aufgenommen. Schon Wochen vor Schulbeginn las ich Omi täglich aus dem Buch „Bald bin ich ein Schulkind“ vor, sodass sich die Seiten vom vielen Umblättern schon lösten. Meine Klassenlehrerin Frau Schnelling liebte ich über alles. Ich bekam eine Kreidetafel geschenkt und spielte fortan liebend gerne Schule.
- August 1979: Der Umzug in eine große Wohnung war aufregend. Wir verfolgten den Bauverlauf des gesamten Stadtteils. Aus dem Nichts entstanden Wohnungen, Schulen, Einkaufsläden. Mutti zog per Los die Wohnung in der ersten Etage. Mein Bruder und ich bekamen jeder ein kleines eigenes Zimmer. Mit dem Umzug war auch ein Schulwechsel verbunden. Meine Klasse startete mit 14 Schüler, am Ende waren wir über 30.
- Mai 1983: Meine Jugendweihe war mir sehr wichtig. Ich kann mich erinnern, dass mein Vati an diesem Tag über eine rote Ampel gefahren ist. So aufgeregt waren wir alle. Für unsere Verhältnisse war es gigantisch. Die ganze Familie hat an diesem Tag in einer Gaststätte Mittag gegessen. Ich weiß noch, dass es Rosenthaler Kadarka, ein Wein, der zu DDR-Zeiten eine Rarität war, gab. Wichtig war mir, meine Tante, die leider im Krankenhaus lag, zu besuchen. Zu Hause wurde auf engstem Raum ausgelassen gefeiert. Meine Omi war lustig und unbeschwert dabei, obwohl sie zu dieser Zeit schon kaum mehr laufen konnte. Wir tanzten auf einem 2m2 großem Balkon. Das alles für mich. Es war gigantisch. Ich bin es wert.
- November 1984: Mein Klassenlehrer Herr Kühn sagte irgendwann mal so ganz nebenbei, dass er mich als Lehrerin sehe. Er empfahl mir das Diplomstudium für Mathematik und ein zweites Fach. Dann hätte ich Schüler der 5. bis 12. Klasse unterrichten können. Das ehrte mich sehr, doch das war so gar nicht meine Altersklasse, der ich mich verbunden fühlte. Zu dieser Zeit war ich sehr aktiv als Gruppenleiterin in den Klassen 1 bis 4. Ich war hin- und hergerissen. Fest stand, ich wollte Lehrerin werden.
- Sommer 1985: Mein Schulabschluss und Studienbeginn zur Lehrerin für untere Klassen waren ein großer Umbruch. Ich habe eine große Etappe geschafft und wurde selbständiger. Ein Traum ging in Erfüllung. Ich darf Lehrerin werden.
- Sommer 1989: Meine erste Schule war die Große Stadtschule. Es war ein altes Gebäude, bisher kannte ich nur die typischen Neubauschulen. Jetzt darf ich endlich Lehrerin sein. Das war gar nicht selbstverständlich. Wir Absolventen bekamen alle eine Stelle. Jedoch wurde uns diese zugeordnet. Wir hatten keinen Einfluss auf den Einsatz. Viele Kommilitonen wurden als Horterzieher im ländlichen Gebiet eingesetzt. Ich hatte doppeltes Glück, durfte in meiner Heimatstadt Rostock bleiben und als Lehrerin arbeiten.
- Sommer 1989 bis Sommer 1992: Die ersten Berufsjahre waren bewegend. Ich begann als Klassenlehrerin einer 3. Klasse. Schnell merkte ich, dass die Kinder nicht alle nach Lehrbuch lernten. Es gab besondere Herausforderungen, wie die Lese-Rechtschreibstörung, mit der ich mich besonders beschäftigte. Ich wollte den Kindern helfen. Es waren bewegte Jahre. Eine Freundschaft zu einer Bremer Grundschullehrerin und eine spätere Patenschaft zu deren Klasse öffnete meinen Blick auf alternative Lernmethoden. Damals plante ich meinen Unterricht zum Teil Wochen im Voraus, um mir von einem westdeutschen Reiseunternehmen kostenfrei Arbeitsblätter kopieren zu lassen.
- Sommer 1992: Die Kündigung meiner Stelle als Lehrerin war einschneidend. Was nun? Ich hatte damals im Kopf, das ist meine letzte Unterrichtsstunde. Mein Traum ist vorbei. Die Stundenzahl der Lehrer wurde an die der Lehrer in den westlichen Bundesländern angepasst. Dadurch gab es bei uns viel zu viele Lehrer und es rollte eine Kündigungswelle über das Land. Ich kann mich noch ganz genau an die vielen Weiterbildungsangebote zur Steuerfachfrau, Bürokauffrau usw. erinnern. Das wollte ich nicht. Doch was nun? Ehemalige Schüler und deren Eltern wollten mich behalten. Ich hatte lange Kontakt zu ihnen und gab private Nachhilfe.
- Herbst 1992: Ich wollte arbeiten und unterrichtete erwachsene Umschüler in Schreibmaschine. Autodidaktisch eignete ich mir das 10-Finger-Schreibsystem an. Meinen erwachsenen Schülern war ich 1 bis 2 Unterrichtsstunden voraus. Das war schon ein merkwürdiges Gefühl, aber ich konnte immerhin unterrichten.
- Januar 1993: Die erste Vertretungslehrerstelle im gesamten Schulamtsbereich war meine. Auf die Nachfrage meiner ehemaligen Schule eine erkrankte Kollegin zu vertreten, antwortete ich sofort mit „Ja“. Das war schon ein eigenartiges Gefühl. Wieder dort zu sein, wo ich unfreiwillig gehen musste. Nach 14 Tagen meldete sich die Kollegin wieder gesund und ich durfte mich wieder arbeitslos melden. Die nächsten drei Jahre wechselte ich zwischen Schulamt und Arbeitsamt ständig hin und her.
- Sommer 1996: Kurswechsel hieß es, als es plötzlich hieß, das Kultusministerium stellte keine Vertretungslehrer mehr ein. Ich entschloss mich weiterhin mit Menschen zusammen zu arbeiten. Ich machte mich als Handelsvertreterin selbständig und ließ mich zur Versicherungsfachfrau ausbilden. Vielleicht könnte ich dann mal als Ausbilder für Versicherungsfachkräfte tätig werden?!
- Juli 1997: Familienzuwachs durch meine Tochter Laura. Was für ein bewegender Moment, plötzlich das eigene Baby im Arm zu halten. Ein Wunder!!! Jetzt stehen andere Herausforderungen als alleinerziehende Mutter an, auf die ich mich freue.
- Sommer 2000: Ich bin ein Bildungsmensch. Es wird Zeit wieder an das Arbeiten zu denken. Ich begann als Bildungsmanagerin bei einem privaten Bildungsträger zu arbeiten. Fortan plante ich Umschulungen, verhandelte mit dem Arbeitsamt und unterrichtete Umschüler, hurra!!!
- Sommer 2001: Ich bin wieder Grundschullehrerin. Nachdem eine Einstellung im öffentlichen Dienst aussichtslos war, konzentrierte ich mich auf die Privatschulen. Meine Mühe lohnte sich. Im August 2001 übernahm ich an der Freien Schule in Bützow eine 1. Klasse. In meiner Klasse hatte ich ein Mädchen, welches trotz aller Bemühungen nicht rechnen lernte. Ein Junge hatte enorme Probleme sich zu konzentrieren. Eine andere Schülerin verzweifelte an Herausforderungen. Ich wollte meinen Schülern helfen und suchte alternative Lernmethoden. Meine Schüler führten mich dazu mich mit Rechenstörung und Legasthenie auseinanderzusetzen.
- August 2004: Die Einschulung meiner Tochter war auch für mich eine Wende. Fortan lernte ich „Schule“ auch als Mutter kennen. So manches Mal stellte das Lernen eine Herausforderung dar. Meine Kreativität war gefragt, die Lernfreude aufrecht zu erhalten.
- November 2006: Zurück ins staatliche Schulsystem führte mich die Äußerung meines damaligen Chefs. Meine Ausbildung zur individualpsychologisch pädagogischen Beraterin ginge ihn zu weit und ich solle mich doch eher auf meine Tätigkeit als Lehrerin konzentrieren.
- September 2008: Das Montessoridiplom hielt ich nach dreijähriger intensiver Ausbildung in der Hand. Meine Einstellung änderte sich, ich vertraute auf die sensiblen Phasen des Kindes. Mein Gespür beim Kind zu erkennen, wann die richtige Zeit für bestimmte Lerninhalte ist, entwickelte sich immer mehr.
- Februar 2010: Ich feierte meine Festanstellung. Endlich fühlte ich mich auch formell wieder anerkannt als Lehrerin. Meine Diagnoseförderklasse mit Schülern mit Entwicklungsverzögerungen machte mich glücklich. Meine Tochter Laura begleitete mich häufig. In dieser Zeit begleitete ich am Nachmittag mehrere Schüler und führte Lerntherapie im Bereich Rechenstörung und Lese-Rechtschreibstörung durch. Egal zu welcher Zeit ich zu Hause war, setzte ich mich mit Laura hin und wir spielten gemeinsam und plauderten über alles und nichts.
- August 2013: Mein erster Tag als Schulleiterin war aufregend. Zum allerersten Mal betrat ich „meine“ Schule. Ich hatte die Vision Schule gestalten zu können. Meine Überzeugung – auch im staatlichen Schulsystem kann Schule Spaß machen. Nur, wenn die Kinder Lust auf Schule haben und gerne kommen, dann kann Lernen gelingen. Dafür trete ich ein.
- Juni 2014: Lauras Realschulabschluss war das Ergebnis des Vertrauens in meine Tochter. Trotz der Prognosen, den Abschluss nicht zu schaffen, kämpfte Laura sich durch. Die Stadtbäckerei war damals unser zweites Zuhause. Ich war für Laura da, coachte sie und unterstützte sie beim Lernen.
- Juni 2022: Mein Online-Angebot die Lernmagie ist ganz offiziell eröffnet. Außerhalb der Schule biete ich andere Wege des Lernens an und zeige, wie diese im System Schule umgesetzt werden können. Dabei spielt die Motivation eine hohe Rolle.
- Heute bin ich Schulleiterin und Lerncoach. Ich möchte Kindern helfen, die Herausforderungen der Schule zu meistern, Gelerntes länger zu behalten und ausreichend Zeit für Hobbys und Freunde zu haben. Im Mittelpunkt stehen die Freude und der Spaß. Ich leite Schüler an, ihren Weg zu finden und helfe Eltern ihre Kinder zu unterstützen.
2 Gedanken zu „Wie ich wurde, was ich bin: Mein Weg zum Lerncoach“